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Re: AW: JFW - jetzt bin ich auch dabei!



Hallo Werner
DJ5FM_bEi_t-online.de meinte neulich zum Thema Re: AW: JFW - jetzt bin ich auch dabei!
> Das sind dann so die Aussagen, die uns immer wieder Hoffnung machen, uns
> aber vor der Enttaeuschung nicht bewahren. Eigentlich wuensche ich mir,
> dass wir hier etwas ehrlicher miteinander umgehen.
Sehr gut! Den Rest deines wirklich ehrlichen Berichtes brauche ich nicht zu
zitieren. Ich schliesse mich ganz deiner Meinung an. Alle Hersteller und leider
auch einige inthusiastische Anwender vermitteln haeufig den Eindruck, als seien
die Probleme geloest. Wer die Fachkompetenz hat, weiss, dass dem laengst nicht
so ist. Aber was denken zum Beispiel die Medien? Alles klar! Alles kein
Problem! Windows haben wir voellig im Griff, hura! Und es gibt keinen Grund,
bei Microsoft auf Verbesserung der Situation zu draengen. Je nach dem, wie man
"Produktivitaet" fuer seinen Arbeitsplatz definiert, ist man haeufig
tatsaechlich produktiever. Aber du hast es voellig richtig dargestellt. Der
wichtigste Faktor ist die Zeit, und kein Hersteller verraet einem, dass eine
bestimmte Arbeit, die mit seinem Screenreader zu bewaeltigen ist, auf jeden
Fall mehr Zeit in Anspruch nimmt als beim sehenden Kollegen mit der Maus. Vom
Schulungsaufwand will ich erst gar nicht anfangen. NIcht nur du als
betroffener, sondern auch diejenigen, die euch eigentlich in der Anwendung
schulen sollten, muessen sich erst mal selbst mit dem Screenreader
beschaeftigen. Wielange machen Arbeitgeber das mit? Wenn die
blindheitsbedingten Einschraenkungen sich bei den Kunden einer Firma bemerkbar
machen, hat man keine Chance. Gerade im Bereich Support am Telefon, von dem du
berichtest, wird dies sehr deutlich. Da sitzt man an der Telefonanlage mit der
Sprechgarnitur auf dem Kopf, lauscht dem Anrufer, nimmt eine Notiz auf,
erteilt einige Auskuenfte aus verschiedenen Datenbanken. Das alles muss fuer
den Anrufer transparent erfolgen, d. H. es muss der Eindruck entstehen, der
blinde Berater habe die ausgegebenen Informationen im Kopf. Solange
Screenreader dies nicht gewaehrleisten, sind sie noch entwicklungsbeduerftig
und die Aussagen von Herstellern mit grosser Vorsicht zu geniessen.
 
Die Forderungen, die sich fuer mich daraus ergeben, lauten u. a.:
 
1. Die Screenreader muessen _erheblich_ komfortabler werden. Damit dies
erreicht werden kann, muessen sie quasi viel mehr Eigenintelligenz mitbringen,
um dem Nutzer soviel wie moeglich abzunehmen und den Schulungsaufwand zu
minimieren. Dieser Punkt wird noch voellig unterschaetzt. Es darf einfach nicht
sein, dass bei einer kleinen Aenderung der Softwareumgebung gleich der
Hersteller des Screenreaders konsultiert werden muss, um neue Anpassungen
vorzunehmen. Schwierigkeiten werden von den Herstellern gerne mit dem
schwierigen Programmierumfeld von Windows begruendet. Nicht-Einhaltung von
Quasi-Standards fuehren haeufig zu den bekannten Effekten, dass Elemente wie
Dialogboxen nicht erkannt oder gesprochen werden. Klar ist Windows ein
kompliziertes vielfaeltiges Programmierumfeld. Aber bis heute setzen die
Screenreader in der Funktionsweise auf mehr oder weniger verschiedene
Offscreen-Modelle. Die Praxis zeigt, dass es viel zu viele Moeglichkeiten fuer
eine Applikation gibt, dieses zu umgehen. Daher sollten die Screenreader
endlich mal lernen, zusaetzlich zum Osm techniken der kuenstlichen Intelligenz
oder der Fuzi-Logic einzusetzen, um beispielsweise ein Fenster zu erkennen.
Bisher ist es so, dass der Screenreader eine bestimmte Fensterklasse nicht
kennt, und das wars. Dann hilft haeufig nur noch der Hersteller mit Anpassungen
weiter. Es muesste vielmehr so sein, dass sich der Screenreader nicht meldet und
einem mitteilt, dass er ein Kontrollelement nicht kennt, sondern er muesste durch
Analyse des Kontrollelementes und der Bedingungen, innerhalb derer es
auftritt, mit zuverlaessiger Wahrscheinlichkeit auf das richtige schliessen oder
zu mindest dieses mit fassbaren Eigenschaften beschreiben. Es scheitert ja
schon haeufig daran, Elemente, die zur Navigation genutzt werden, ueberhaupt
bedienen zu koennen. Der Screenreader steht viel zu oft ratlos vor dem Objekt.
Es gibt noch viel zu tun, liebe Programmierer! Ich weiss, dass diese Forderungen
nur schwer zu realisieren sind. Daher gehoeren elementare
Screenreader-Funktionen auch nicht in ein externes Programm, sondern in den
Betriebssystem-Kernal. Nur dann, wenn der Screenreader mit denselben
Previlegien wie das Betriebssystem selbst arbeiten kann, ist man weitgehend
sicher, alles mitzubekommen, was die Anwendung tut. Wir haben es leider bei
Win3 oder Win95 in diesem Sinne nicht mit einem hirarchisch aufgebauten und
klar nach Aufgaben und Previlegien strukturierten richtigen
Multitasking-System zu tun, was die Sache erschwert.
 
2. Das Vorhandensein eines Screenreaders darf die restliche Rechnerumgebung
wie Betriebssystem, Anwendungssoftware o. ae. nicht im Verhalten beeinflussen.
In diesem Punkt hat sich bei einigen Screenreadern gerade mit Windows 95 viel
positives getan. Es koennte aber noch deutlich besser sein. Oder ist es etwar
in Ordnung, wenn ich beim Versuch, die Software fuer meine Awe32-Soundkarte zu
installieren, pploetzlich feststelle, dass die Tasten auf dem Nummernblock fuer
den Screenreader nicht mehr gehen und etwas ganz anderes tun? Ich muss dann mit
irgendwelchen Klimmzuegen sehen, dass ich dieses Menue wieder verlasse. Wenn man
eine neuere Version des Msie installiert und auf "benutzerdefinierte
Installation" geht, um die zu installierenden Komponenten von Hand
auszuwaehlen, erlebt man dasselbe. DieTasten gehoeren nicht mehr dem
Screenreader, sondern landen im Nirvana.
 
3. Die Kommunikation zwischen dem blinden Anwender und dem sehenden Kollegen
muss gegeben sein. Die grafische Benutzungsoberflaeche ist schon komplex genug.
Auf diese noch eine Oberflaeche aufzustuelpen, um die darunterliegende Gui
blindengerecht aufzubereiten, erschwert die Zusammenarbeit. Der Blinde hat
dadurch keine rechte Vorstellung davon, wie sich dem Sehenden der Bildschirm
darstellt. Also baut man fuer den Sehenden ein einblendbares Braillewindow ein,
damit wenigstens dieser weiss, was der Blinde sieht. Aber ob das dem Blinden
wirklich hilft? Ich verweise auf den Artikel von Matthias.
 
p.s.
Ich arbeite mit Windows 95 und Jaws 2.0 bzw. 3.0. Versuchsweise habe ich auch
schon diverse andere Screenreader eingesetzt.
 
           <***  hk  >***