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Re: Kurzschrift Rueckuebersetzung



Hallo Ruediger, hallo alle!

On Wed, 10 Jun 1998, LEIDNER wrote:

> in vielen Kommentaren zu dem Prototypen des Rückübersetzungsprogramms
> tauchte der Hinweis auf, daß "gigantische Ausnahmelisten" notwendig seien,
> um eine korrekte Übersetzung zu gewährleisten. 
Diesen Begriff habe ich ins Spiel gebracht, und vielleicht sollte ich 
noch ergaenzen, dass natuerlich eine Syntaxanalyse vorgeschaltet werden 
kann (und sollte), die viele Ausnahmen ueberfluessig machen duerfte. 
Interessant mag in diesem Zusammenhang sein, dass man bei 
Textverarbeitungsprogrammen zum Zwecke der Silbentrennung auch 
urspruenglich von grammatischen Regeln ausgegangen ist, inzwischen aber 
hauptsaechlich mit Lexika arbeitet, um etwa Trennungen wie 
"Nonnenklo-ster" zu vermeiden. Die Megabytes sind ja inzwischen nicht 
mehr so teuer, und - wie ich bereits geschrieben habe - Algorithmen zum 
effizienten Umgang mit Lexika stehen in ausreichender Zahl zur Verfuegung. 
Daher auch mein Vorschlag, Ausnahmelisten nach Möglichkeit automatisch zu 
erstellen, was bestimmt schneller geht, als immer wieder neue Regeln 
einzubauen und auszutesten. Voraussetzung ist eben die Bereitschaft, sich 
auf Programmiertechniken einzulassen, die grosse Datenmengen effizient 
beackern koennen, und das - zugegeben - muss man auch erst einmal lernen.

> Meines Erachtens gibt es
> jedoch einen zweiten Weg, der aus meiner Sicht langfristig auch der bessere
> ist, nämlich die Entwicklung einer "Computerkurzschrift". 
Das ist nun ein grundsaetzliches Problem, und ich befuerchte, dass wir da 
immer mit zwei sich bekriegenden Parteien rechnen muessen. Mich 
persoenlich wuerde es nicht schrecken, eben noch eine weitere 
Punktschrift zu lernen. Ich habe mir einmal den Spass gemacht, die 
verschiedenen Punktschriften zusammenzustellen, die ich im Laufe meines 
Lebens gelernt habe und fast ausnahmslos auch heute noch beherrsche. 
Wer's wissen will (bitte, nicht um anzugeben, schliesslich hatte ich ja 
ein halbes Jahrhundert Zeit dazu):

1. die eigentliche Vollschrift,
2. die Gebrauchsvollschrift (mit einigen Kuerzungen wie "ie"),
3. alte Kurzschrift,
4. reformierte Kurzschrift,
5. englische Kurzschrift,
6. franzoesische Kurzschrift,
7. das griechische Alphabet,
8. das hebraeische Alphabet,
9. das russische Alphabet (kyrillisch),
10. Notenschrift,
11. die urspruengliche Marburger Mathematik- und Chemieschrift,
12. deren erste reformierte Fassung,
13. deren zweite reformierte Fassung,
14. Schaltungsschrift (vgl. Zeitschrift "Funk und Elektronik"),
15. Computerbraille,
16. Stuttgarter Mathematikschrift (SMSB, 8 Punkte).

Kann schon sein, dass ich sogar noch was vergessen habe. Dazu kommt
natuerlich - wie wohl bei jedem eifrigen Punktschriftschreiber - meine
eigene Gebrauchsstenographie, die ich dann nach einiger Zeit selbst nicht
mehr lesen kann. Ja, und neuerdings noch das tibetische Alphabet.
Vielleicht habt Ihr mitbekommen, dass Sabriye Tenberken, eine junge blinde
Dame aus Bonn, in Tibet eine Blindenschule eroeffnet hat. Zur Wiedergabe
der tibetischen Silbenschrift hat sie sich ein Punktschriftsystem
ausgedacht. Ich bemuehe mich, sie beim Drucken von Unterrichtsmaterial zu
unterstuetzen, weshalb ich eben auch ihre tibetische Schrift lernen
musste. Das natuerlich nur am Rande, aber ich denke, es koennte Euch
interessieren. 

Okay, auf eine weitere Punktschrift sollte es mir nicht ankommen. Und 
selbstverstaendlich bleibt festzuhalten, dass es noch weitere 
Punktschriftsysteme gibt, die ich nicht gelernt habe.

Nun gibt es aber Bestrebungen, die auf eine Vereinheitlichung der
Punktschrift abzielen. Ihre Verfechter halten die bestehende Vielfalt
jetzt bereits fuer ueberfluessig und mitunter unzumutbar. Bis vor einem
Jahr habe ich als Gutachter das EU-Projekt MATHS begleitet, wo es um die
Handhabung mathematischer Formeln im Schulunterricht ging (dazu vielleicht
gelegentlich mehr). Eine immer wieder erhobene Klage war hierbei, dass die
Blinden es nicht - wie die Sehenden - geschafft haben, sich auf eine
einheitliche Mathematikschrift zu einigen (allein in Deutschland haben wir
neben dem Marburger und dem Stuttgarter noch das Karlsruher System und den
Ansatz, die Schreibweise von LaTeX als Blinden-Mathematikschrift zu
benutzen; im Ausland sind weitere Mathematikschriftsysteme im Gebrauch).
Man denke in diesem Zusammenhang auch an die Bestrebungen, die Kurzschrift
generell abzuschaffen und nur noch das Computerbraille zu benutzen, weil
das den Sehenden halt so wunderbar entgegenkaeme. Was wir da mit unserer
Punktschrift treiben, hat in den "Marburger Beitraegen" einmal jemand als
"Spielerei unter Behinderten" bezeichnet, die in der von Sehenden
dominierten Gesellschaft nicht ernst genommen werden koenne. Leider reicht
es nicht aus, solche Meinungen einfach zu ignorieren, denn sie kommen aus
Paedagogenkreisen, und wenn die Damen und Herren Lehrer nicht bereit sind,
Blinde in verschiedenen Punktschriftsystemen zu unterrichten, dann bleibt
nur noch die Eigeninitiative, die von sehr vielen Blinden eben nicht
aufgebracht wird. 

> Ich habe diese Idee bereits bei dem neuen "Brailleschrift-Reformkomitee"
> eingereicht. Unterstützung von den hier mitlesenden könnte wahrscheinlich
> nicht schaden. 
Die Idee selbst halte ich schon fuer bedenkenswert. Ueberzeugender waere 
natuerlich ein konkreter Vorschlag, der zeigen wuerde, dass eine 
rueckuebersetzbare Kurzschrift ueberhaupt machbar ist. Und eben da habe 
ich so meine Zweifel.

> 1. Zweiformige Wortkürzungen werden (wieder) in Bindestriche
> eingeschlossen.
Das ist bestimmt einer der wesentlichen Schwachpunkte der reformierten 
Kurzschrift, dass man den Bindestrich ersatzlos abgeschafft hat. Dadurch 
wird nicht nur die Rueckuebersetzbarkeit sehr viel schwieriger, sondern 
auch die Lesbarkeit. Die Begruendung von damals, man muesse mit 
Ruecksicht auf die Uebersetzungsprogramme auf den Bindestrich verzichten, 
habe ich nie kapiert. Vorteile der neuen Regel gibt es natuerlich auch: 
Die Effizienz der Schrift wird erhoeht, und der Bindestrich selbst wird 
rueckuebersetzbar, d.h. er steht nur da, wo er auch im Schwarzdruck 
verwendet wird. Aber eine Wiedereinfuehrung der alten Regeln loest das 
Problem natuerlich nur zum Teil, denn z.B. das Binde-s wurde als Ersatz 
fuer den Bindestrich gewertet, und anders kann man es ja auch kaum 
machen. Es blieben somit Gebilde wie "gfsfd" oder "mtsmn" 
("Geschaeftsfreund" bzw. "Mittelsmann", fuer diejenigen, die die 
Kurzschrift nicht beherrschen).

> 2. Einformige Wortkürzungen werden auch am Wortanfang durch Komma
> abgetrennt, wenn danach eine "Komma- bzw. Umlautkürzung" folgt.
Diese Aenderung ist bereits im Gespraech. Nun muss ich zugeben, dass ich 
gerade sie fuer unnoetig halte. Einem Rueckuebersetzungsprogramm solche 
Faelle beizubringen, ist doch wohl trivial, oder?

Soviel fuer heute zu diesem Thema.

Viele Gruesse
Eberhard