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Rueckschlaege bei der Audiodeskription



Liebe Hoerfilmfreunde!
Ich riskiere, von Euch gesteinigt zu werden - und das so kurz vorm Fest
der barmherzigen Liebe...
Es wundert mich, dass die Mehrheit offenbar bis zur "Blechtrommel" still
gehalten hat. In den bisherigen AD-Ausstrahlungen des BR hat man sich
wahrscheinlich damit getroestet, das es sich um die soundsovielte
Ausstrahlung handelt. Das war natuerlich auch bei der Grass-Verfilmung
so. Der Termin war aber mehrheitstraechtig, weil es gerade den
Nobel-Preis fuer den Autor gab.
Manches in Euren emotional nachvollziehbaren Reaktionen auf Frau Weis´
Serienbrief reizt mich nun doch zur internen Widerrede, weil sich hier
etwas andeutet, was ich ganz und gar nicht mag: fundamentalistische
Ueberhoehung der eigenen Ansprueche bei Ausblendung oder gar Bestreitung
der Umwelt.
Bleiben wir kurz beim BR via Astra. - Es ist unangenehm fuer uns, aber
einen, der mit Augen zuschaut, nervt die erklaerung dessen, was er (mehr
oder minder) sieht. Ich weiss das aus der eigenen Familie, wo es mir
wichtig ist, mich mit dem Zusatzton zu separieren. Die ungewollte
Verbalisierung der Bilder trifft den Film genau dort, wo er seine
Identitaet stiftet: in der Sprache der Bilder. Wir koennen uns natuerlich
fuer die Zuechtung vegetarischer Hunde einsetzen, bloss nehmen uns dann
nur noch wir selber ernst und ein paar Fanatiker in der Schweiz, die da
schon achtbare Erfolge an den armen Tieren und wider die Natur erzielt
haben.
Ich kann Dir, lieber Norbert, nach kurzem Innehalten auf keinen Fall
folgen, wenn Du in geschliffener Argumentationskunst schreibst:
"Wer sich in der
Materie auskennt, weiss, dass die Geraete der Unterhaltungselektronik fuer
blinde Menschen immer schwerer zu bedienen sind. Waehrend man also davon
ausgeht, dass blinde Menschen wissen, wie sie den Kanal finden, traut
man das Sehenden, fuer die die Bedienung der Geraete leichter ist, also
nicht zu, aehnliches zu tun."
Und zwar mit Recht. Dem Fernsehn vorwerfen zu wollen, fuer die Huerden
verantwortlich zu sein, die sich fuer Sehende nicht minder auftun als
fuer Blinde, ist nicht fair.
Bedenke, Blinde, die auf Audiodeskription warten, haben ein Grundwissen
fuer die Problematik. Wer sich aber aus der Fernsehzeitung einen Film
heraussucht, ohne zu ahnen, das es so was wie AD gibt, der wird
ueberrumpelt.
Gewiss hat Norbert recht, dass es der ARD hier nicht gelungen ist, etwas
zu erzielen, was Kompromiss genannt zu werden verdient. Aber unser
Anspruch zielt m.E. zu weit, wenn es dazu heisst:
"Gleiches gilt fuer das Argument, dass man allen Gruppen gerecht werden
muesse.
Wie wird man allen gerecht, wenn man in der Prime Time immer die
Interessen
der Mehrheit vertritt? Mein Demokratieverstaendnis ist ein anderes."
Ich setze mal ganz einfach dagegen: Ein Hauptprogramm gehoert keiner,
aber auch gar keiner Minderheit!
Wenn man da umschalten muss auf ein drittes Programm oder Phoenix, ist
man doch nicht diskriminiert!
Zum Vorwurf "Serienbrief". Ich moechte der Kollegin zugute halten, dass
sie um einen groesseren Textbaustein eigentlich nicht herum kam. Sie hat
uns doch in ziemlicher Offenheit erklaert, was in der Programmdirektion
abging. Diese stand nun zwischen ihrem Versprechen an uns, "Jenseits
der Stille" in der AD-Fassung zu bringen, und der Intervention der
Regisseurin. Es zeugt von Mangel an Engagemnt und Verstaendnis bei
Leuten wie Juergen Kellermeyer, da einfach umzufallen. Seinem floppenden
Zugpferd Beckmann wirft er 46 mill. DM jaehrlich in den Schlund, wofuer
der ein paar maessige Talkshows produziert. Solche "Entscheidungstraeger"
sollten wirklich auf die Erde zurueckgeholt werden. Dazu reichen die
einfachen Lobbiereflexe m.E. nicht aus.
Auf keinen Fall koennen wir den Anspruch erheben, diejenigen, fuer die
Fernsehen nun mal in erster Linie gemacht wird, aus ihren angestammten
Plaetzen zu vertreiben. Dann kann es passieren, dass jemandem auch
auffaellt, dass wir gar keine Rundfunkgebuehr zahlen.
Wir sollten aus dem Vorgefallenen mehrere Schluesse ziehen.
1. Der Hoerfilm braucht mehr gezielte Oeffentlichkeitsarbeit gegenueber
den Programmleuten und den Zuschauern. Vor einem AD-Film sollten auch
die potentiell verunsicherten Zuschauer aufgeklaert werden ueber das
Anliegen der AD und was sie tun koennen, um den moeglicherweise
unerwuenschten Kommentar auszublenden.
2. Kompromisse lassen sich nicht uebers Knie brechen, sondern muessen
erarbeitet werden. Bislang fehlt es uns offenbar aber auch an
Verstaendnis fuer die Probleme der anderen Seite. Auch die Regisseurin
des Films Jenseits der Stille" sollte mal zu einem AD-Seminar
eingeladen werden. Ihre Ablehnung der AD auf diesem Sendeplatz ist mir
verstaendlich. Ihr enger Horizont ist entschuldbar, solange sie den
Dialog mit uns nicht verweigert.. Gut ist die Idee der Partnerschaften
mit Programmzeitungen, wie sie hier vorgeschlagen wurde (Marianne
Kroeger?).
3. Dass wir uns als Gruppe vernehmlich machen, ist gut und wichtig. Die
Strukturen hierfuer duerfen nicht verschwinden. Dass der DBSV-Vorstand den
Plan hatte, den Arbeitskreis Hoerfilm aufzuloesen, ist genau das falsche
Zeichen.
4. Auf der Basis der Zweikanaluebertragung im Analogfernsehen wird es
keine wirkliche Loesung geben. Es ist gut und wichtig, dass der DBSV und
das Projekt Hoerfilm in Fuehlung mit Politik und Wirtschaft Wege in die
Zukunft bauen. Die DVDs sind eine Errungenschaft, zu der alle
Beteiligten zu beglueckwuenschen sind. Denen, die in der
Blindenselbsthilfe aktiv sind, schlage ich vor, sich am Ort Partner aus
dem Handel zu suchen, um Praesentationsveranstaltungen der digital
produzierten Hoerfilm-DVDs zu organisieren. Die Elektronikhandelsketten
werden froh sein, die neue Hardware oeffentlichkeitswirksam vorzufuehren.
Dass wir beim Weg ins digitale Zeitalter des Fernsehens nicht vergessen
werden, daran wird ja auch gearbeitet - mit ausreichendem Nachdruck?
Norbert hat die Zuschauerredaktion dabei erwischt, die Post
unaufmerksam zu lesen. Ich darf aus Erfahrung sagen, dass das auch in
unseren Listen vorkommt. Deshalb betone ich abschliessend, dass ich keine
Lanze breche fuer Quotengeilheit und opportunistische Ignoranz von
Minderheiten, wie wir eine sind.
Euch allen schon mal eine frohe Weihnacht!
Juergen Trinkus