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Fragen zu "Dialog im Dunkel"



Hallo Gerd, Hallo Blinus,

wir haben 1996 in Linz erstmals einen "Dialog im Dunkel" veranstaltet. Ich  
war damals mit dabei und habe folgende Erfahrungen gemacht:

- Nachdem der "Dialog" einige Tage gelaufen war, konnte ich auf der Strasse  
eine deutliche Veraenderung des Verhaltens der Autofahrer beobachten: Wenn  
sie mich sahen, hielten sie auf jeden Fall an.
Auch die Fussgaenger verhielten sich anders: Sie beobachteten zunaechst, ob  
ich z.B. zum Ueberqueren einer Strasse oder beim Suchen eines Geschaeftes in  
ihren Augen Hilfe brauchen koennte, und sprachen mich nur dann an, wenn sie  
den Eindruck gewinnen mussten, ich faende mich nicht zurecht.

- Ich begegne heute auf der Strasse des oefteren Passanten, die mich ueber  
meine Blindheit befragen und erzaehlen, sie waeren im Dialog gewesen.  
Darunter sind durchaus auch Menschen, die nach eigenen Aussagen sehr grosse  
Angst vor Blindheit haben bzw. davor, sie koennten vielleicht auch einmal  
blind werden. Aber von solchen Menschen habe ich dennoch auch gehoert, dass  
sie das Blindsein beschaeftige, trotz ihrer Angst.

- Ich unterrichte in der Altenbetreuungsschule Die Ausbildungskandidaten  
zum Thema "Blindheit und Sehbehinderung", und einige von diesen waren  
damals auch im "Dialog". Diese Erfahrung, auch wenn sie teils mit grosser  
Angst oder sogar Panik verbunden war, ist ihnen allen ein bleibender  
Eindruck geblieben, etwas, das in ihnen auch nach ueber drei Jahren noch  
sehr lebendig ist.
Und viles, was sie mit dem Blindsein verbinden, leiten sie von ihren  
damaligen Erfahrungen her.
Und ich erlebe dabei auch, dass der Dialog mit diesen Menschen ehrlicher  
und tiefergehend ist, weil sie, wenn auch nur fuer kurze Zeit, die  
Erfahrung des Blindseins gemacht haben.

- Und dann bin ich einem Menschen begegnet, der in den "Dialog" gegangen  
ist, weil er seine panische Angst vor Dunkelheit ueberwinden wollte. Er hat  
dies im dritten Anlauf geschafft, nachdem er zuvor die Ausstellung zweimal  
in Panik verlassen hatte. Er war uebergluecklich, mit der Hilfe von  
Menschen, die mit der Dunkelheit besser vertraut sind als sehende  
Menschen, seine Panik ueberwunden zu haben.
Mir hat gerade dieses Beispiel gezeigt, wie "normal" Blindheit in unserem  
taeglichen Leben sein kann. ...

- Und ich habe Menschen durch den Dialog begleitet, die bei ersten  
Durchgehen sehr unsicher waren und viel Angst hatten, und nach dem Ende  
der Fuehrung sagten: "So schlimm war das gar nicht. Ich werde in einigen  
Tagen noch einmal hineingehen, denn jetzt kann ich die Dunkelheit geniessen  
und aufmerksamer dafuer sein, was ich fuehle, hoere und ertaste."

Aus allen diesen Erlebnisberichten habe ich die Ueberzeugung gewonnen, dass,  
wenn ueberhaupt, wohl nur sehr wenige Menschen den "Dialog" aus reiner  
Sensationsluesternheit besucht haben. Etwas an der Tatsache, nicht sehen zu  
koennen, muss sie sehr beschaeftigen: Es aengstigt, fasziniert sie, bringt sie  
vielleicht mehr oder weniger bewusst mit einer existenziellen Erfahrung in  
Kontakt, aus der sie fuer sich einiges schoepfen koennen, weil die sonst so  
wichtigen Wirklichkeiten unwichtig werden und dafuer andere hervortreten,  
die sie kaum kennen.


Und noch etwas, Gerd:
Vielleicht ist es gar nicht so wichtig, dass sehende Menschen "die" Welt  
der blinden Menschen erfassen koennen. Aus meiner Lehrtaetigkeit weiss ich,  
dass das Wenige, das ich in der kurzen Zeit schildern kann, fuer viele von  
ihnen sehr viel sein kann. Manchmal behalten sie nur eine ganz bestimmte  
Aeusserung, aber die wissen sie noch nach Jahren, wenn sie mir zufaellig auf  
der Strasse begegnen.

Und fuer mich gehoert zum Dialog mit sehenden Menschen auch die Neugier  
darauf, wie sie die Welt erleben, mit ihr umgehen, und auch viel Toleranz  
fuer ihr mitunter mangelndes Geschick im Umgang mit uns.

Vielleicht hilft Dir das ein bisschen weiter.

Karin

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Karin Seidling
Tannenstr. 17
4040 Linz
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