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Re: Psychologie des Lesens



Guten Abend Arne und Eberhard und alle andern,

-----Urspruengliche Nachricht-----
Von: Arne Harder <Arne.Harder_bEi_Medizin.Uni-Magdeburg.DE>
An: fblinu_bEi_mvmpc100.ciw.uni-karlsruhe.de
<fblinu_bEi_mvmpc100.ciw.uni-karlsruhe.de>
Datum: Donnerstag, 20. Mai 1999 14:50
Betreff: Re: Psychologie des Lesens


zur Stachelschrift:

auch die Darstellung des Optacons ist ja im Grunde eine Art Stachelschrift,
nur, dass sie die Schwarzdruckzeichen wesentlich besser aufloest als eine
12-Punkt-matrix. Weshalb mir, der ich ja nun mal gesehen hab, dennoch das
Ertasten der eigentlich vertrauten Formen mit dem Finger so schwerfiel, hast
Du, Arne, weiter unten prima begruendet:

Schwarzschriftzeichen
>sind nach optomorphen Kriterien entstanden, Brailles Zeichen nach
>haptomorphen.  Diese haben sich so entwickelt, dass sie gut aussehen
>und mit dem Auge leicht unterschieden werden; jene verzichten auf
>Aesthetik verpflichten sich der einfachen Unterscheidbarkeit durch den
>Tastsinn (auch hier gaebe es einiges zu aendern: wieso muss das e
>das Spiegelbild des i sein?  Erst nach Jahren konnte ich die beiden
>unterscheiden!)  Wollte man eine neue Punktschrift auf

wobei das Vorkommen von "Spiegelbildern" wiederum Folge der gerade
angestrebten einfachen haptomorphen Struktur ist: je regelmaessiger und
einfacher, um so mehr entstehen aehnliche Zeichen.

Allerdings scheinen auch die wesentlich besser unterscheidbaren optischen
Schriftzeichen genuegend Aehnlichkeiten aufzuweisen: denn sonst wuerden
OCR-programme nicht so oft Zeichen miteinander verwechseln. Im Gegenteil:
diese haetten vielleicht mit einer einfachen Punktschrift weniger Probleme.

Wie erfasst denn das Gehirn Zeichen? Als Bild oder als eine Art geometrischer
Regelsatz?- zweiteres Verfahren ist ja wohl das, welches OCR-programme
anwenden.

Fuer
>die Braillezeile hat sich die Darstellung markierter oder hervorgehobener
>Textzeichen mit "Unterstreichen" durch Punkt 7 und 8 schon durchgesetzt,
>aber wer will so was auf Papier gedruckt lesen?

wer will laengere Texte in Vollschrift lesen? Die Braillezeile ist wohl -
zumindest, wenn auf ihr die Zeichen 1 zu 1 und dann noch in 8-Punkte-Braille
dargestellt werden - nichts fuer "literarisches" Lesen, sondern eben ein
Arbeitsgeraet.

In diesem Zusammenhang frage ich mich dann auch, ob und wie ein
elektronisches Buch fuer Blinde aussaehe - die meisten gehen hier wohl von
einem Vorlesegeraet mit synthetischer Stimme aus. Handy-Tech hat ja ein
lesegeraet, den "Buchwurm" herausgebracht, das ueber eine
8-Segmente-Mini-Braillezeile verfuegt. Clou ist, das das
Uebertragungsprogramm, welches Dateien vom PC in das Geraet sendet, Ascii- und
HTML-Formate direkt in Blindenkurzschrift uebertragen kann. Kritiker fuehren
allerdings an, dass die 8-Segmente-Zeile fuer ein fluessiges Lesen auch bei
Verwendung von Kurzschrift zu kurz ist. Ich weiss nicht, wie hoch die
Akzeptanz dieses Geraetes bei den Blinden ist und ob es je den Grundstock fuer
ein elektronisches Braillebuch bilden wird.Da scheint es blinden Leuten
aehnlich wie den Sehenden zu gehen: Lesen, insbesondere von Unterhaltender
Literatur, wird weiterhin auf Papier und nicht am Bildschirm vollzogen.

>
>An einer Schrift haengen nicht nur wahrnehmungspsychologische oder
>informationstheoretische Ueberlegungen.  Die Schrift soll - auch fuer
>Blinde - "gefaellig" und vor allem gewohnt sein.  Wer unser gutes, altes
>Braillesystem stuerzt, der stuerzt eine ganze Schriftkultur.

und das ist vielleicht auch der Grund fuer das Festhalten am papiernen Buch -
und damit dann eigentlich das Plaedoyer fuer das Festhalten an der
6-Punkt-Braillekurzschrift fuer gedruckte Texte.

Gruss Andreas