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Re: Rueckschlaege bei der Audiodeskription



In article <016a01bf4cc6$e2995b40$7b009c3e_bEi_Privat>,
trinkus-mv_bEi_t-online.de (Juergen Trinkus) wrote:
>Liebe Hoerfilmfreunde!

Hallo Juergen,

>Ich riskiere, von Euch gesteinigt zu werden - und das so kurz vorm Fest
>der barmherzigen Liebe...

Das waere ein Armutszeugnis, wenn jemand auf die Idee kaeme, dich zu
steinigen.

>Es wundert mich, dass die Mehrheit offenbar bis zur "Blechtrommel" still
>gehalten hat. In den bisherigen AD-Ausstrahlungen des BR hat man sich
>wahrscheinlich damit getroestet, das es sich um die soundsovielte
>Ausstrahlung handelt. Das war natuerlich auch bei der Grass-Verfilmung
>so. Der Termin war aber mehrheitstraechtig, weil es gerade den
>Nobel-Preis fuer den Autor gab.

Was du damit sagst, laeuft kurz gesagt auf folgendes hinaus:
zu Topzeiten bitte nur normale Filme, also weg mit den Minderheiten. Die
Mehrheit hat nicht still gehalten, es gab auch vorher Beschwerden, aber
bei der Blechtrommel wurde zum ersten Mal reagiert. Aber es ist ein
Auftrag der oeffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, Minderheiten in
ihren Programmen zu beruecksichtigen.

>Manches in Euren emotional nachvollziehbaren Reaktionen auf Frau Weis´
>Serienbrief reizt mich nun doch zur internen Widerrede, weil sich hier
>etwas andeutet, was ich ganz und gar nicht mag: fundamentalistische
>Ueberhoehung der eigenen Ansprueche bei Ausblendung oder gar Bestreitung
>der Umwelt.

Das kann ich nicht nachvollziehen. Wenn eine Minderheit immer auf die
Ansprueche der Mehrheit ruecksicht nimmt, gibt es keine Ansprueche mehr fuer
die Minderheit. Was hat uns denn eigentlich geaergert? Es war, dass der
Film "jenseits der Stille" als AD-Film angekuendigt und dann
kurzfristig umgeschmissen wurde. Und als einige Leute sich dann
erkundigt haben, was das sollte, da bekamen sie einen standardisierten
Brief, bei dem oft auf die Argumente des Schreibers nicht eingegangen
wurde. Dies kennzeichnet einen Umgang, der nahelegt, dass die Briefe
nicht gelesen wurden, oder nur der erste Satz.

>Bleiben wir kurz beim BR via Astra. - Es ist unangenehm fuer uns, aber
>einen, der mit Augen zuschaut, nervt die erklaerung dessen, was er (mehr
>oder minder) sieht. Ich weiss das aus der eigenen Familie, wo es mir
>wichtig ist, mich mit dem Zusatzton zu separieren. Die ungewollte
>Verbalisierung der Bilder trifft den Film genau dort, wo er seine
>Identitaet stiftet: in der Sprache der Bilder.

Deshalb sollte jeder sehende Mensch in der Lage sein, den zweiten
Tonkanal abzuschalten. Es ist weniger problematisch, als eine ganze
Gruppe auszuschliessen.

>Wir koennen uns natuerlich
>fuer die Zuechtung vegetarischer Hunde einsetzen, bloss nehmen uns dann
>nur noch wir selber ernst und ein paar Fanatiker in der Schweiz, die da
>schon achtbare Erfolge an den armen Tieren und wider die Natur erzielt
>haben.

Ich verstehe nicht, was das damit zu tun hat. Es ist keine Schande,
seine Interessen zu vertreten. Natuerlich bin ich deiner Meinung, wenn du
sagst, dass den Sehenden der Zusatzton nervt, aber er kann ihn ja
abschalten. Dann hat er einen normalen Film, und wir koennen eben mit AD
hoeren. Und wie gesagt, es gibt eine Verpflichtung zur Beruecksichtigung
der Minderheiten. Nich immer, nicht ueberall, ganz richtig. Aber wnn man
schon ankuendigt, dass ein solcher Film laeuft, dann sollte man ihn auch
wirklich senden. "Jenseits der Stille" ist ein Film, der zumindest fuer
mich ohne AD nicht zu verstehen war. Dass man dies als Kompromiss
bezeichnet hat, hat mich geaergert.

>Ich kann Dir, lieber Norbert, nach kurzem Innehalten auf keinen Fall
>folgen, wenn Du in geschliffener Argumentationskunst schreibst:
>"Wer sich in der
>Materie auskennt, weiss, dass die Geraete der Unterhaltungselektronik fuer
>blinde Menschen immer schwerer zu bedienen sind. Waehrend man also davon
>ausgeht, dass blinde Menschen wissen, wie sie den Kanal finden, traut
>man das Sehenden, fuer die die Bedienung der Geraete leichter ist, also
>nicht zu, aehnliches zu tun."
>Und zwar mit Recht. Dem Fernsehn vorwerfen zu wollen, fuer die Huerden
>verantwortlich zu sein, die sich fuer Sehende nicht minder auftun als
>fuer Blinde, ist nicht fair.

Die Huerden tun sich fuer die Sehenden nicht auf, sie koennen mit diesen
Geraeten umgehen, mit ihrem Display. Sie koennen in der Regel abschalten.
Wenn du so argumentierst wie jetzt, muesstest du den Hoerfilm abschaffen
wollen, denn irgendwer, der zu der Mehrheit der Sehenden gehoert, wird
sich schon beschweren.

>Bedenke, Blinde, die auf Audiodeskription warten, haben ein Grundwissen
>fuer die Problematik. Wer sich aber aus der Fernsehzeitung einen Film
>heraussucht, ohne zu ahnen, das es so was wie AD gibt, der wird
>ueberrumpelt.

Was schlaegst du also vor?

>Gewiss hat Norbert recht, dass es der ARD hier nicht gelungen ist, etwas
>zu erzielen, was Kompromiss genannt zu werden verdient. Aber unser
>Anspruch zielt m.E. zu weit, wenn es dazu heisst:
>"Gleiches gilt fuer das Argument, dass man allen Gruppen gerecht werden
>muesse.
>Wie wird man allen gerecht, wenn man in der Prime Time immer die
>Interessen
>der Mehrheit vertritt? Mein Demokratieverstaendnis ist ein anderes."
>Ich setze mal ganz einfach dagegen: Ein Hauptprogramm gehoert keiner,
>aber auch gar keiner Minderheit!

HM. Es gibt 52 % Frauen in Deutschland und 48 % Maenner. Sollen jetzt nur
noch Frauenmagazine gebracht werden?
Mehrheit und Minderheit, ein weites Feld. Ich denke, mit einem AD-Film,
den man auch abschalten kann, kann man praktisch allen gerecht werden.
Jeder kann den Film so sehen, wie er will.

>Wenn man da umschalten muss auf ein drittes Programm oder Phoenix, ist
>man doch nicht diskriminiert!

Voellig richtig. Abe in BR3 wird ja auch schon abgeschaltet, und zwar
mittendrin! Wenn sie wenigstens da gesendet wuerden, waere es ja
nachvollziehbar.

>Auf keinen Fall koennen wir den Anspruch erheben, diejenigen, fuer die
>Fernsehen nun mal in erster Linie gemacht wird, aus ihren angestammten
>Plaetzen zu vertreiben. Dann kann es passieren, dass jemandem auch
>auffaellt, dass wir gar keine Rundfunkgebuehr zahlen.

Heisst das: Lieber auf die AD verzichten als rundfunkgebuehren zahlen zu
muessen? Oder heisst es: Nur stillhalten, weil wir ja schon gnaedigerweise
keine Rundfunkgebuehren zahlen?
Ich will niemanden von seinen angestammten Plaetzen vertreiben. Ich will,
dass mehr Information betrieben wird, damit die Sehenden das Abschalten
lernen, dass man ganz klar macht, was die AD will, dass wir uns aber auch
beschweren, wenn man Zusagen nicht einhaelt, wie andere sich ueber die AD
beschweren.

>Wir sollten aus dem Vorgefallenen mehrere Schluesse ziehen.
>1. Der Hoerfilm braucht mehr gezielte Oeffentlichkeitsarbeit gegenueber
>den Programmleuten und den Zuschauern. Vor einem AD-Film sollten auch
>die potentiell verunsicherten Zuschauer aufgeklaert werden ueber das
>Anliegen der AD und was sie tun koennen, um den moeglicherweise
>unerwuenschten Kommentar auszublenden.

Voellig richtig!

>2. Kompromisse lassen sich nicht uebers Knie brechen, sondern muessen
>erarbeitet werden.

Zustimmung!

>Bislang fehlt es uns offenbar aber auch an
>Verstaendnis fuer die Probleme der anderen Seite.

Nein. Ich verstehe gut, dass die AD die sehenden nervt. Wenn man dann
sagen wuerde: "wir bringen den angekuendigten Film zwar mit AD, aber wir
sagen Ihnen, wie man den Ton des zweiten Kanals abschaltet" oder "wir
bringen den Film zweimal, einmal auch fuer die, die das Abschalten nicht
mehr lernen", dann waere alles in Ordnung. Aber nicht so.

 >Auch die Regisseurin
>des Films Jenseits der Stille" sollte mal zu einem AD-Seminar
>eingeladen werden. Ihre Ablehnung der AD auf diesem Sendeplatz ist mir
>verstaendlich. Ihr enger Horizont ist entschuldbar, solange sie den
>Dialog mit uns nicht verweigert..

Das finde ich auch.

>Norbert hat die Zuschauerredaktion dabei erwischt, die Post
>unaufmerksam zu lesen. Ich darf aus Erfahrung sagen, dass das auch in
>unseren Listen vorkommt. Deshalb betone ich abschliessend, dass ich keine
>Lanze breche fuer Quotengeilheit und opportunistische Ignoranz von
>Minderheiten, wie wir eine sind.

Das verstehe ich wieder nicht. Wieso sind wir opportunistisch, wenn wir
die Einhaltung der Zusagen fordern?

>Euch allen schon mal eine frohe Weihnacht!

Dir ebenso.

>Juergen Trinkus

Jens Bertrams


-- 
Jens Bertrams
http://www.bigub.de/privat/Bertrams/
Behinderte in Gesellschaft und Beruf e. V.:
  http://www.bigub.de
    email: jens.bertrams_bEi_bigub.de