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Fragen zu "Dialog im Dunkel"
- Subject: Fragen zu "Dialog im Dunkel"
- From: kseidling_bEi_AON.at (Karin Seidling)
- Date: 30 Jan 2000 22:20:00 +0200
Hallo Gerd, Hallo Blinus,
wir haben 1996 in Linz erstmals einen "Dialog im Dunkel" veranstaltet. Ich
war damals mit dabei und habe folgende Erfahrungen gemacht:
- Nachdem der "Dialog" einige Tage gelaufen war, konnte ich auf der Strasse
eine deutliche Veraenderung des Verhaltens der Autofahrer beobachten: Wenn
sie mich sahen, hielten sie auf jeden Fall an.
Auch die Fussgaenger verhielten sich anders: Sie beobachteten zunaechst, ob
ich z.B. zum Ueberqueren einer Strasse oder beim Suchen eines Geschaeftes in
ihren Augen Hilfe brauchen koennte, und sprachen mich nur dann an, wenn sie
den Eindruck gewinnen mussten, ich faende mich nicht zurecht.
- Ich begegne heute auf der Strasse des oefteren Passanten, die mich ueber
meine Blindheit befragen und erzaehlen, sie waeren im Dialog gewesen.
Darunter sind durchaus auch Menschen, die nach eigenen Aussagen sehr grosse
Angst vor Blindheit haben bzw. davor, sie koennten vielleicht auch einmal
blind werden. Aber von solchen Menschen habe ich dennoch auch gehoert, dass
sie das Blindsein beschaeftige, trotz ihrer Angst.
- Ich unterrichte in der Altenbetreuungsschule Die Ausbildungskandidaten
zum Thema "Blindheit und Sehbehinderung", und einige von diesen waren
damals auch im "Dialog". Diese Erfahrung, auch wenn sie teils mit grosser
Angst oder sogar Panik verbunden war, ist ihnen allen ein bleibender
Eindruck geblieben, etwas, das in ihnen auch nach ueber drei Jahren noch
sehr lebendig ist.
Und viles, was sie mit dem Blindsein verbinden, leiten sie von ihren
damaligen Erfahrungen her.
Und ich erlebe dabei auch, dass der Dialog mit diesen Menschen ehrlicher
und tiefergehend ist, weil sie, wenn auch nur fuer kurze Zeit, die
Erfahrung des Blindseins gemacht haben.
- Und dann bin ich einem Menschen begegnet, der in den "Dialog" gegangen
ist, weil er seine panische Angst vor Dunkelheit ueberwinden wollte. Er hat
dies im dritten Anlauf geschafft, nachdem er zuvor die Ausstellung zweimal
in Panik verlassen hatte. Er war uebergluecklich, mit der Hilfe von
Menschen, die mit der Dunkelheit besser vertraut sind als sehende
Menschen, seine Panik ueberwunden zu haben.
Mir hat gerade dieses Beispiel gezeigt, wie "normal" Blindheit in unserem
taeglichen Leben sein kann. ...
- Und ich habe Menschen durch den Dialog begleitet, die bei ersten
Durchgehen sehr unsicher waren und viel Angst hatten, und nach dem Ende
der Fuehrung sagten: "So schlimm war das gar nicht. Ich werde in einigen
Tagen noch einmal hineingehen, denn jetzt kann ich die Dunkelheit geniessen
und aufmerksamer dafuer sein, was ich fuehle, hoere und ertaste."
Aus allen diesen Erlebnisberichten habe ich die Ueberzeugung gewonnen, dass,
wenn ueberhaupt, wohl nur sehr wenige Menschen den "Dialog" aus reiner
Sensationsluesternheit besucht haben. Etwas an der Tatsache, nicht sehen zu
koennen, muss sie sehr beschaeftigen: Es aengstigt, fasziniert sie, bringt sie
vielleicht mehr oder weniger bewusst mit einer existenziellen Erfahrung in
Kontakt, aus der sie fuer sich einiges schoepfen koennen, weil die sonst so
wichtigen Wirklichkeiten unwichtig werden und dafuer andere hervortreten,
die sie kaum kennen.
Und noch etwas, Gerd:
Vielleicht ist es gar nicht so wichtig, dass sehende Menschen "die" Welt
der blinden Menschen erfassen koennen. Aus meiner Lehrtaetigkeit weiss ich,
dass das Wenige, das ich in der kurzen Zeit schildern kann, fuer viele von
ihnen sehr viel sein kann. Manchmal behalten sie nur eine ganz bestimmte
Aeusserung, aber die wissen sie noch nach Jahren, wenn sie mir zufaellig auf
der Strasse begegnen.
Und fuer mich gehoert zum Dialog mit sehenden Menschen auch die Neugier
darauf, wie sie die Welt erleben, mit ihr umgehen, und auch viel Toleranz
fuer ihr mitunter mangelndes Geschick im Umgang mit uns.
Vielleicht hilft Dir das ein bisschen weiter.
Karin
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Karin Seidling
Tannenstr. 17
4040 Linz
Telefon: 0732/254397
E-Mail: kseidling_bEi_aon.at