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Re: Ästhetik oder Dokumentgestaltung



Hallo Wolf-Dietrich,

-----Urspruengliche Nachricht-----
Von: Wolf-Dietrich Trenner <taubblind_bEi_post.de>
An: fblinu_bEi_mvmpc100.ciw.uni-karlsruhe.de
<fblinu_bEi_mvmpc100.ciw.uni-karlsruhe.de>
Datum: Sonntag, 25. April 1999 10:28
Betreff: Re: Aesthetik oder Dokumentgestaltung


>da Ilsabe mich nur ein wenig aus dem Zusammenhang gerissen zitiert hat
>nochmal die Umgebung und meine Aeusserung im Sinn:

danke, nun liest sich einiges schon etwas anders. Dennoch:

>Vorher habe ich mich noch zu den Realitaeten heute geaeussert, wo es oft
auf
>jede Menge Schnick-Schnack hinauslaeuft (WWW) und das inhaltlich
kritisiert.
>Der auch hier letzte Absatz, auf den allein sich Ilsabe bezog, steht dann
>aber immer noch. Er sagt nicht mehr und nicht weniger als: Schuster, bleib
>bei Deinem Leisten. Wenn Du heute z.B. eine Ausgabe eines

wie gesagt, ich habe mal gesehen - - also kann ich mir schon etwas unter
Fettdruck usw. vorstellen - oder sollte es um soetwas zeitabhaengiges wie
eine "Mode" gehen? Magazins

Ich schrieb ja, dass ich mir darueber klar bin, dass ich nicht alle Stilmittel,
die man in der Gestaltung eines Schreibens einsetzuen kann, in ihrer Wirkung
auf den Sehenden nachvollziehen kann, auch wenn ich sie mit meienm Programm
kontrollieren kann. Aber mir muss doch die Frage erlaubt sein, warum soll
gerade hier dieses Stilmittel eingesetzt werden? Ein Chef, der mich
ernstnimmt, wird mir das erklaeren - und muss dann auch darauf gefasst sein,
dass, wenn es eigentlich keine Begruendung gibt, sondern es nur heisst "das
macht man heut so", dass ich dann frage, ob der Aenderungsaufwand durch den
Nutzen gerechtfertigt wird. Aber wir haben in unserer Abteilung ein so
kollegiales Miteinander, dass es nur sehr selten zu meinungsverschiedenheiten
in diesem Punkt kommt - eben weil wir gelernt haben, darueber zu reden und
anscheinend auch mein Chef germkt hat, dass ich mir schon "einen Kopf" um die
Dinge mache.

>eingesetzt wird, dann ist das nichts, was irgendein Chef mit blinden
>Mitarbeitern diskutieren wuerde. Da geht es um Hauslizenzen. Allenfalls

es ging mir nicht um die einzusetzende Software, sondern um die Verwendung
von bestimmten Outfits, und der Frage, ob sie sinntragend sind, sich also
eine Investition von Arbeitszeit in sie lohnt, oder ob sie sinnleer, also
blosse Deko sind.

>>>Deine Sensibilitaet gegenueber der Weltsicht von Behinderten <<
>Was soll denn das sein? Gibt es denn "die Weltsicht der Behinderten" oder
>gibt es Millionen Weltsichten von Millionen Menschen? Das steckt hinter dem
>von mir genutzten Begriff der "Normalisierung". Wer an eine Weltsicht der
>Behinderten glaubt grenzt aus. Meist sich selbst. Ich habe mich z.B. in
>meiner Nachricht nicht geaeussert, ob ich das nun gut finde. Aber die Welt
>sehe ich so: Behinderte, wenn sie denn wirklich eine homogene Gruppe
waeren,
>werden marginalisiert, an den Rand gedraengt. Und wenn es denn gemeinsame
>Interessen gibt, nehmen wir als Beispiel mal "Barrierefreiheit", dann kann
>man sich besser dafuer einsetzen,

aber das ist doch der Punkt: ich schrieb ja auch, dass jeder Behinderte seine
eigene "Weltsicht" hat (ich drueckte das als Nuancen aus, glaube ich), aber
woher kommen denn gemeinsame Interessen, die
auf die jeweilige Behinderung und ihre Auswirkungen auf das persoenliche
Leben der Einzelnen gegruendet sind? Genau von den von mir postulierten
Unterschieden in der Weltsicht - damit meine ich, dass Behinderte und
nicht-Behinderte bestimmte Dinge in ihrer Wichtigkeit, ihrem Nutzen usw.
anders bewerten. Die Freitreppe vor einem Haus mag fuer das Empfinden  eines
voll gehfaehigen Menschen durch ihre Schoenheit dominiert sein, ein
Mobilitaetsbehinderter wird sie, auch wenn er ihre Schoenheit warnimmt, zuerst
in   ihrer Funktion als Barriere wahrnehmen - behindertenspezifische
Weltsicht.

Genau hier muss aber Bewusstmachung ansetzen - es muss erlaubt sein, das, was
in der Umwelt der nicht-Behinderten gang und gaebe ist, in Frage zu stellen.
Warum eine Freitreppe? Warum ein grafisches Outfit von Internetseiten? Gibt
es nicht auch andere Wege, das gleiche zu realisieren, ohne dass dadurch eine
Barriere fuer bestimmte Menschen aufgerichtet wird?

Warum muessen nicht Studenten der Architektur, Bauleiter usw. in ihrer
Ausbildung ein paar Tage im Rollstuhl und unter der Augenbinde erfahren, wie
sich die von Menschen nach den angeblich so unveraenderbaren Konventionen der
nicht-Behinderten Umwelt gestalteten Lebenslandschaften fuer jemanden
darstellen, der nicht gehen oder nicht sehen kann? Einmal ein bisschen
"Weltsicht" aus der Perspektive eines anderen schnuppern - das ist mehr als
das lesen von Euro-Normen zur Barrierefreiheit,
das ist Bewusstseinsbildung.

wenn man um das Desinteresse der Restwelt
>daran weiss.

muss man genau dort etwas aendern. Das geht aber nicht allein ueber
Vorschriften und "political correctness", sondern nur ueber die Diskussion
auch des angeblich so selbstverstaendlichen - und zwar mit und nicht ueber die
Betroffenen.

>Oder noch ein Beispiel: "Ein Bild sagt mehr als 1000 Woerter." Da stimmen
>fast alle Sehenden spontan zu. Was steckt fuer die Berufs- und
>Lebenssituation blinder Menschen hinter diesem "Allgemeinwissen"?

dass wir uns immer da zu Wort melden muessen, wo - meist mehr durch Unwissen
als durch Absicht - Ausgrenzung von Information stattfindet. Was fuer den
Sehenden als ueberfluessige Bildunterschrift odr Erlaeuterung erscheint, ist
eben
nicht entbehrlich, sondern muss zur selben Alltaeglichkeit werden wie das
Bild.

Dadurch wird ja die Welt fuer die nicht-Behinderten nicht weniger bunt oder
weniger lebenswert. Es geht nicht um weniger, sondern um mehr. Im Bus eben
eine gut verstaendliche Ansage und eine optische Anzeige der Haltestellen.
Und ab Werk die Auffahrrampe. Dadurch wird der Bus ja nicht weniger nutzbar
fuer die nicht-Behinderte Allgemeinheit - sondern hoechstens etwas teurer.
Wenn man dann, um ein bisschen zu sparen, nicht mehr die bislang fuer die
Busse uebliche Mehrfarben-Lackierung
aufbringt, sondern den Bus einfarbig in den Verkehr schickt, mindert das
seinen Nutzwert in keiner Weise.

Diese Weltsicht, eben erstmal zu fragen, ob etwas so, wie es bislang immer
gemacht wurde, sinnvoll und notwendig ist oder einfach nur "Rueschen", ist
m.E. Voraussetzung fuer eine offenere Gestaltung des lebensumfeldes, damit es
fuer alle - auch Randgruppen - moeglichst gut zugaenglich wird.

>>>Es bedeutet m.E. auch, die besondere Erlebensweise, mit
>der Behinderte auf die Welt, in der sie leben, reagieren, mit in die
>Gedankenwelt nicht-Behinderter einzubeziehen und auch anzuerkennen.<<
>Ist die Welt so gut? Sollte ich da was verpasst haben? Nun, hoffentlich
sind

nein - aber das ist ja kein Grund, alles so zu lassen, wie es ist.

Gruss Andreas