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Re: Geraeuschgewirr



In article <199909051856.UAA32242_bEi_aixserv0.urz.uni-heidelberg.de>, 
schreibst Du unter anderem:
>Auch mir faellt es schwer in einer lauten Geraeuschkulisse meine
>Gespraechspartner herauszufiltern. Selbst wenn mir das einigermassen gelingt,
>so gelingt mir das aber nur mit einem gehoerigen Mass an Konzentration, so
>dass ich manchmal nach ein oder zwei Stunden am Ende bin und mich entweder
>aus dem Gespraech rausziehe, oder gar die Runde verlasse. 

Hallo Micha, hi Leute,

den Ermuedungseffekt kenne ich auch. Bei mir fuehrt das aber eher dazu, 
dass ich rammdoesig werde und dazu neige, kurzzeitig geistig etwas 
wegzutreten. Nach einiger Zeit geht es dann wieder, und ich kann wieder
weiter Versuchen, den Gespraechen zu folgen oder mich an dem Geraeuschgewirr
im Raum zu orientieren. Ein Fest oder eine Party verlassen tue ich in so
einer Situation nach Moeglichkeit nicht; denn ich moechte ja gerade mit 
Leuten in Kontakt kommen. Mir ist es dann auch wurscht, ob ich mich durch
das Wegtreten aus einem Gespraech herausziehe. Ich versuche halt, moeglichst
schnell wieder reinzukommen. Mag sein, dass jemand meine Schwierigkeiten
mitkriegt. Sei's drum. 

Eine Rolle dabei spielt vielleicht auch, dass ich 
als Blinder Rollifahrer ohnehin teilweise Hilfe brauche, um z.B. raus zu 
einem Taxi zu kommen. Mit Handy ist das teilweise jetzt leichter geworden.
Aber die Erfahrungen ohne Handy sind und bleiben praegend.
Ohne Handy musste ich lernen, mich nachdruecklich, aber vorsichtig genug in 
Gespraeche einzumischen, um jemanden zu finden, der mir ein Telefon 
zeigen konnte. Um Gespraeche nicht auseinanderzureissen, habe ich dann 
teilweise recht viel Geduld aufgebracht und lange auf einen guenstigen 
Moment gewartet, in dem ein Um-Hilfe-Bitten besser in die Situation 
hineinpasste (wieder eine Gradwanderung)

Du schreibst weiter:
>Auch als hilfreich finde ich das verstopfen der Ohren mit kleinen 
>Kuegelchen aus Papiertaschentuch. Dies daemmt die Geraeuschkulisse etwas ab. 
>Das Klangbild ist nicht mehr so scharf, wobei die Stimmen in 
>unmittelbarer Naehe immer noch relativ verstaendlich bleiben. 

Dazu faellt mir folgendes ein:
Das kann ich mir gut vorstellen. Dennoch ist mir diese Methode unheimlich;
denn ich moechte - soweit es die Geraeuschumgebung gestattet - auch hoeren
koennen, was weiter weg um mich herum geschieht. Manchmal wird ja der Ge-
raeuschpegel auch leiser, nachdem er vorher laut war. Solange ich noch einen
klaren Kopf bei dem Geraeuschdurcheinander habe, kann ich solche 
Feinheiten - denke ich - ohne Ohrverstopfung besser mitkriegen
Manchmal hoere ich z.B. auch bei ziemlichen Geraeuschdurdcheinander Stimmen
von Bekannten oder Freunden. Sie sind zu weit weg, dass ich durch Rufen
auf mich aufmerksam machen kann, aber nahe genug, damit ich im Verlauf 
der Feier u.U. jemanden fragen kann, der noch sieht. Vielleicht kann der
oder die Sehende mir dann weiter auf die Spruenge helfen, damit ich 
meine Bekannten finde. Dieser Weg hat durchaus schon funktioniert.

Du schreibst weiter:
>Ich habe den Eindruck (was hier auch schon angeklungen ist), 
>dass das Betrachten der anderen Gespraechspersonen
>fuer das filtern aeusserst hilfreich ist. 

Meine Erfahrungen als Antwort auf Deine Ideen
Das finde ich auch. Ausserdem hilft es mir auch, an den Geraeuschen festzu-
machen, wo ich mich befinde. Z.B. das Rauschen einer Kaffeemaschine von der 
Restauranttheke, auch das spuehren eines Luftzuges von einer Aussentuer,
das Klappern von Geschirr eines herumwandernden Obers koennen in einer Knei-
pe Anhaltspunkte sein, an denen ich mich festhalte. Rammdoesig werde
ich naemlich leichter, wenn ich mir in dem Geraeuschgebrodel keine Fixpunkte
suchen kann. Das geht an anderen Orten - etwa mit lauter Discomusik -  
nur eingeschraenkt oder gar nicht. In erstaunlich fielen Faellen ist 
das bewusste Lauschen auf Nebengeraeusche aber doch ein gewisser roter 
Faden fuer mich. 

Deine Art, auf Stehparties Kontakte zu suchen, kenne ich auch.
Manchmal hat sie sogar auf Tanzparties geklappt. Das ging allerdings nur,
wenn ich jemanden dazu bekommen habe, mit mir als Rollifahrer zu tanzen,
und/oder wenn es ruhigere Inseln gab, wo ich mich auch unterhalten konnte.
Haeufig lernte ich auf solchen Parties andere Leute kennen als beabsichtigt;
denn diejenigen, mit denen ich mich naeher unterhalten oder anfreunden wollte,
verschwanden irgendwann im Geraeuschgewimmel. Dafuer tauchten dann andere
Leute auf. Meistens musste ich aktiv das Gespraech suchen.

Diese Erlebnisse waren mit einer Menge Frust, aber auch mit einigem Spass
verbunden. Je mehr Energie ich im Studium zum Lernen brauchte, um so seltener
habe ich solche Parties besucht. Das Ganze ist doch recht anstrengend.


MfG.

Jens-Uwe