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Re: Sehprothesen lassen Blinde wieder sehen



Hallo zusammen!
 
Das Projekt, das wir in der Mail von Wolf vorgestellt bekamen, laeuft
schon seit einiger Zeit. Prof. Zrenner von der hiesigen Augenklinik, der
auch daran beteiligt ist, sagte mir letzten Herbst, man sei jetzt so
weit, dass Versuchstiere einzelne Gegenstaende wahrnehmen koennen (im
Sinne von "da ist irgendwas"). Es ist sicher nicht zu erwarten, dass
innerhalb weniger Jahre daraus eine vollwertige kuenstliche Netzhaut
wird. Dennoch meine ich, dass Forschungen auf diesem Gebiet durchaus ihre
Berechtigung haben. Vieles, was wir heute als grosse Errungenschaft
betrachten, hat einmal sehr bescheiden angefangen.
 
Das Forscherteam ist nun bestimmt in jenem ueblichen Dilemma: Einerseits
ist es noch viel zu frueh, konkrete Versprechungen zu machen;
andererseits muss man der Oeffentlichkeit etwas versprechen, um an die
benoetigten Gelder zu kommen. So muessen wir wohl die Aussagen des
Artikels verstehen. Leider besteht in solchen Faellen immer die Gefahr,
dass sich eine Menge Leute falsche Hoffnungen machen. Wenn man aber
bedenkt, dass die Betroffenen uebereinstimmend einen noch so geringen
Sehrest als einen riesigen Gewinn gegenueber der voelligen Erblindung
empfinden, koennen selbst kleinste Anfangserfolge schon ein Grund zur
Freude sein.
 
Ob es nun unsere erste Sorge sein muss, dass Vater Staat da ein neues
Argument fuer die Abschaffung des Blindengeldes bekommen koennte, weiss
ich nicht so recht. Wir muessen uns auch klar machen, dass selbst mit
einer gut funktionierenden kuenstlichen Netzhaut noch lange nicht die
Blindheit schlechthin abgeschafft waere. Fuer RP-Patienten, die frueher
einmal gesehen haben, mag da einiges drin sein. Leute wie ich, die von
Geburt an nur einen bescheidenen Sehrest (oder gar keinen) hatten,
sollten sich da aber nicht zu viel versprechen. Wir wissen ja heute, dass
das Gehirn seine kognitiven Faehigkeiten waehrend der ersten Lebensjahre
herausbildet. Was da an Nervenbahnen nicht verschaltet wird, ist spaeter
praktisch nicht mehr nachzuholen. Mein Gehirn hat z.B. das flaechenhafte
Sehen nie gelernt. Deshalb bin ich mir sicher, dass ich mit einer
kuenstlichen Netzhaut inzwischen so gut wie nichts mehr anfangen koennte,
denn das Gehirn koennte mit der Signalflut nicht umgehen und das wohl
auch nicht mehr lernen. Auf die Neurotechnologie werden sich die
Politiker also kaum berufen koennen, wenn sie eines Tages das Blindengeld
streichen sollten (aber keine Angst, die sind erfinderisch genug, auf
irgendeine Begruendung werden sie schon kommen).
 
Eine gewisse Gefahr steckt allerdings durchaus in solchen
Forschungsvorhaben: Wenn es wirklich gelingen sollte, RP-Patienten durch
die Prothese ein vernuenftiges Mass an Sehvermoegen zurueckzugeben,
koennte man die Motivation zur Erforschung der RP verlieren. Es ist aber
immer besser, ein Uebel an der Wurzel zu packen, als an oberflaechlichen
Symptomen herumzukorrigieren.
 
Nun denn, warten wir ab, was uns die Zukunft bringt, aber seien wir
vorsichtig mit Vorurteilen oder Vorverurteilungen jeglicher Art.
 
Viele Gruesse
Eberhard