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Psychologie des Lesens
- Subject: Psychologie des Lesens
- From: Arne Harder <Arne.Harder_bEi_Medizin.Uni-Magdeburg.DE>
- Date: Wed, 19 May 1999 20:56:35 METDST
Hallo nochmal!
Andreas, Du meinst, bei acht Punkten waere mit der vernuenftigen
Lesbarkeiit durch den Tastsinn Schluss! Falsch! Empirische Ergebnisse
von Foulke un Warm (1978) haben gezeigt, dass Blinde und Sehende
unter Lichtabschluss gut mit 3x3 und 4x4Matrizen zurechtkommen.
Das heisst: sie koennen mit bis zu 16 Punkten (2^16 =65536 Kombinationen)
zurechtkommen.
Und warum faellt den meisten von uns die Computerschrift doch schwer?
Ganz einfach: wir sind auf Sechspunkt "gedrillt" worden; wir lernen
schnell, Punkt sieben und acht (die untersten beiden) zu "ueberlesen".
Wenn wir dann Zeichen vor uns haben, die nicht ins Alphabeth passen,
muessen wir den Punkten 7 und 8 erst wiedr Bedeutung zumessen lernen.
Ich erinnere mich noch gut an jemanden, der folgende Adresse hatte:
xy_za_bEi_informatik.uni-hamburg.de
Staendig bekam ich Mails zurieck mit dem Vermerk: "Adresse nicht gefunden".
Warum: das Klammeraffenzeichen (_bEi_) und das Unterstreichungszeichen (_)
unterscheiden sich im Computerbraille praktisch kaum.
Der Trick mit den Ankuendigungszeichen ist uebrigens fast
"praehistorisch". Die alten Aegypter verwendeten ihn aehnlich. Sie
gaben demselben Zeichen je nach Zusammenhang mehrere Bedeutungen.
Ein Fisch-Symbol konnte im prophanen Text tatsaechlich das
altaegyptische Wort fuer Fisch bedeuten, in religioesen
Zusammenhaengen aber "Fortbestehen" und in herrschaftlichem Kontext
die Silbe "men" (die aber auch im Bestandteil des Wortes Fisch war).
Wollte ein Schreiber das Lesen erleichtern, so fuegte er Zeichen ein, die
dem Kundigen den Zusammenhang verdeutlichten; war der Schreiber Meister
seines Faches, so setzte er dieselben Ankuendigungszeichen auch noch in
ihrer urspruenglichen Funktion ein (das ersparte haeufig Papyrus und
galt als besonders guter Schreibstil). Wir Blinden befinden uns also
in einer uralten und offensichtlich bewaehrten Tradition.
Herzliche Gruesse an alle Schriftgelehten Arne Harder
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Dr. Arne Harder, Otto-von-Guericke-Strasse 57, D-39104 Magdeburg.
Tel. 0049-391-5411241. E-Mail: harder_bEi_medizin.uni-magdeburg.de
WWW: http://www.med.uni-magdeburg.de/~harder