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Tests (BITE-Bericht)
- Subject: Tests (BITE-Bericht)
- From: "Rüdiger Leidner" <Leidner_bEi_compuserve.com>
- Date: Sat, 19 Sep 1998 08:11:31 -0400
Hallo,
aus gegebenem Anlass poste ich meinen Aufsatz ueber den Umgang mit
Testergebnissen, der in "Sozialrecht und Praxis" erscheint.
Falls Fragen bestehen, muss ich um etwas Geduld bitten, da ich erst ab 28.
9. wieder mitlese.
Ruediger Leidner:
Windows fuer Blinde- Zugangsloesungen im Test
Waehrend in Deutschland Windows-Loesungen fuer blinde Anwender noch unter
Windows 3.11 getestet wurden, fuehrte die American Foundation for the Blind
z. T. mit denselben
Programmen Tests unter Windows 95 durch. Da diese
Testergebnisse bereits im Fruehjahr veroeffentlicht wurden, sollen sie zum
Anlass genommen werden, nicht nur hierueber
kurz zu berichten, sondern auch auf Probleme beim Umgang mit solchen
Ergebnissen hinzuweisen.
Die Testdurchfuehrung
Getestet wurden 6 Produkte, von denen drei (Jaws, Virgo und Slimware Window
Bridge) auch in
Deutschland erhaeltlich sind. Nachstehende Ausfuehrungen beschraenken sich
daher auf die in Deutschland
verfuegbaren Produkte, wohingegen die anderen Programme (Winvision, Asaw,
Window-Eye) nicht
weiter erwaehnt werden.
Getestet wurden bei allen Zugangsloesungen drei grosse Bereiche
Installation und Dokumentation,
Bedienbarkeit von
WinWord 97,
Wordperfect 6.1,
Internet Explorer 3.02,
Netscape Navigator 3.01.
Ein Gesamturteil wurde nicht abgegeben, vielmehr wurden in jedem dieser
Bereiche Noten zwischen 0
(keine Zugangsmoeglichkeit) und 5 (aehnlich gute Bedienbarkeit wie bei
einem sehenden Anwender)
vergeben. Beide Extremwerte wurden ueberhaupt nicht vergeben. Zwei
Produkte, darunter auch Jaws,
erhielten in recht vielen Bereichen die Note 4, d. h., gute Bedienbarkeit
bei noch vorhandenem geringen
Verbesserungsbedarf.
Zum Umgang mit Testergebnissen
Da diese Windows-Loesungen in Deutschland fuer rund DM 3.000 verkauft
werden, lohnt es sich schon
allein aus diesem Grund, sich ueber die Aussagekraft derartiger Tests
Gedanken zu machen, bevor eine
Entscheidung getroffen wird. Beruecksichtigt man zudem, dass ausser dem
Programm selbst weitere
Hilfsmittel wie Sprachsynthesizer und/oder Blindenschriftausgabegeraete
notwendig sind, die die Kosten
eines Computerzugangs erheblich verteuern, wird das Risiko, sich auf einen
vielleicht ungeeigneten Test
zu verlassen, noch groesser.
Aktualitaet der Ergebnisse
Wer sich bei Kaufentscheidungen im Alltag haeufig an Testergebnissen in
Zeitschriften orientiert, kennt
das Problem: Der zeitliche Abstand zwischen der Veroeffentlichung des
Testergebnisses und der
individuellen Kaufentscheidung ist oft so gross, dass das Produkt in der
getesteten Form gar nicht mehr
am Markt ist. Dieses Problem besteht natuerlich nicht nur bei Staubsaugern
oder Rasierapparaten,
sondern in noch weit groesserem Umfang im Computerbereich.
Manchmal ist die Ungeeignetheit eines Testergebnisses offensichtlich: Wenn,
wie in Deutschland, im
vergangenen Jahr erst Tests fuer Zugangsloesungen zu Windows 3.11
durchgefuehrt wurden und
erst sehr viel spaeter veroeffentlicht werden, wird auch auf den ersten
Blick schnell klar, dass diese
Ergebnisse in den Zeiten von Windows 95/98 bzw. Windows NT eher historische
Bedeutung haben.
Das Aktualitaetsproblem besteht aber auch bereits bei den in den USA
durchgefuehrten Tests, und zwar in
mehrfacher Hinsicht:
Zum einen wurden die Tests seit Sommer 1997 durchgefuehrt, also mit
Versionen von Jaws, Virgo und
Slimware, die inzwischen deutlich verbessert wurden.
Zum anderen wurden die Tests aber auch nicht zeitgleich durchgefuehrt.
Identisch war lediglich die
Hardware und die Software-Umgebung (Windows 95). Da aber die Entwickler
dieser Zugangsloesungen
in recht kurzen Zeitabstaenden Updates verteilen, mit denen in erster Linie
bekannt gewordene Fehler
behoben werden (sollen), ist bei zeitlich versetzten Tests davon
auszugehen, dass die einzelnen
Zugangsloesungen einen unterschiedlichen Entwicklungsstand beim Zugang zu
Windows 95 und den
eingangs genannten Anwendungsprogrammen hatten.
Umfang der Tests
Beeintraechtigt wird die Aussagekraft und Verwendbarkeit dieser Tests auch
dadurch, dass aus der
Veroeffentlichung nicht hervorgeht, was bei den einzelnen
Anwendungsprogrammen eigentlich getestet
wurde. Lediglich im Zusammenhang mit WinWord wird haeufiger der Umgang mit
der
Rechtschreibpruefung erwaehnt. Inwieweit aber andere Bereiche dieses
Programms
getestet wurden, laesst zumindest die Veroeffentlichung nicht erkennen.
Ueberhaupt nicht erwaehnt werden
auch gerade fuer blinde Anwender zentrale Funktionen wie die Kontrolle von
Darstellungsarten, Absatz-
und Zeilenabstaenden sowie die Anpassbarkeit der Darstellung an
individuelle Gegebenheiten. Was nuetzt
aber einem Kaufinteressenten der Hinweis, die Rechtschreibpruefung liesse
sich mit der einen
Zugangsloesung besser bearbeiten als mit einer anderen, wenn fuer ihn ganz
andere Funktionen im
Vordergrund stehen?
Und wie weiter?
Tests dieser Art koennen immer nur eine Momentaufnahme sein. Je schneller
die Entwicklung
voranschreitet, um so schneller werden damit auch die Testergebnisse
entwertet. Dies hat zur Folge,
dass derartige Tests nicht zu zeit- und kostenaufwendig sein duerfen;
hierdurch wird aber andererseits
ihre Aussagekraft beeintraechtigt. Fuer individuelle Kaufentscheidungen -
insbesondere bei
Arbeitsplatzausstattungen, bei denen in der Regel noch sehr viel mehr zu
beruecksichtigen ist als nur die
Bedienbarkeit des Betriebssystems und einiger Anwendungsprogramme (z. B.
Vernetzung,
betriebsspezifische Anwendungen), sind sie daher kaum geeignet. Hier wird
ueber neue Formen der
Information nachzudenken sein. Nur einen ersten, wenn auch sehr wichtigen,
Schritt hierzu stellen
Anwenderforen auf der Basis sogenannter ,Mailing-Listen" im Internet dar.
Solche Foren gibt es auch
unter blinden und sehbehinderten Computeranwendern, nicht nur in den USA,
sondern inzwischen auch
in Deutschland. Das deutsche Forum entstand durch die Eigeninitiative eines
blinden Programmierers.
Weitere Informationen hierzu gibt es im Internet unter
http://www.lynet.de/~mhaenel
In diesem Forum koennen die Anwender selbst ihre Erfahrungen mit den sie
speziell betreffenden
Produkten austauschen, so dass eine recht gute, naemlich aktuelle und im
Bedarfsfall detaillierte,
Informationsplattform entstehen kann.
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