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Re: Vereine - Traditionen



Lieber Wolf, hallo zusammen!

In einigen Punkten gab und gibt es durchaus eine Zusammenarbeit
zwischen Behindertenvereinigungen.  Denkt doch mal an den Kampf zur
Aenderung des Grundgesetzes.

Natuerlich, Wolff, muessen Funktionaere einen Nutzen in der Zusammen-
arbeit mit anderen Vereinigungen sehen.  Aber warum sehen sie ihn so
selten?  "Aus Vereinstradition", behaupte ich, "Wir sind es einfach
nicht gewohnt, diese Kooperation zu praktizieren."  Als guter
Psychologe muss ich diese Behauptung beweisen, und das will ich mit
einem kurzen historischen Rueckblick versuchen:

Blinde haben sich relativ frueh zusammengeschlossen (etwa 1880).
Sie waren - und sind - immer vom Wohlwollen der Nichtbehinderten ab-
haengig gewesen, konnten aber - im Gegensatz zu vielen anderen Behin-
derten (geistig Behinderte, Spastiker ...) ihre Interessen verbal und
in einer fuer die Gesellschaft akzeptablen Form artikulieren.  Der
"Blindenbonus", von dem ich bezweifle, dass er je verschwinden wird,
tat ein Uebriges.  So erreichten die Blindenverbaende relativ viel;
sie wurden teilweise sogar zum Vorbild fuer andere Gruppen Behinderter.
Eine Zusammenarbeit mit anderen Behinderungsgruppen, die so tief
ginge, dass man sich menschlich haette verstehen und die Unter-
schiedlichen Interessen haette integrieren muessen, war weder noetig
noch gefragt.  Blinde sind nur MENSCHEN - mit allen guten und
schlechten Seiten.  "Krueppel" - etwa Menschen ohne Beine oder Arme,
oder mit einer nuscheligen bzw. kaum verstaendlichen Sprache - galten
und gelten teilweise noch als kein besonders guter Umgang fuer Blinde.
Das hat mit der schon beschworenen Eigenschaft aller Humanoiden zu
tun, Vor sich von Vorurteilen leiten zu lassen.  Leider kommen noch
objektive Schwierigkeiten fuer Blinde im Umgang mit anderen Behindeten
hinzu:  Versuch doch mal als Blinder, einen Rollstuhl zu schieben; das
wird - ich habe es ausprobiert - zur Belastung fuer beide: der Blinde
kann zwar schieben, doch muss ihn der Rollstuhlfahrer fuehren nd ihm
dazu noch jeden Handgriff rein verbal erklaeren.  Und die Schwirig-
keiten der Kommunikation Blinder mit stark Hoerbehinderten oder Gehoer-
haben mich an meine eigenen Grenzen gefuehrt; ich bin ungluecklich,
sagen zu muessen, dass ich mich sehr schlecht dabei benommen habe und 
- als ich es merkte -, dann zurueckgezogen habe.

Was nun lernen wir aus all dem Gelaber?  Meiner Meinung nach ist es
einfach unrealistisch, von den Behindertenvereinigungen gar zu vile
und gar zu enge Zusammenarbeit zu erwarten.  Das liegt an den Vor-
urteilen aller Beteiligten gegeneinander, die man - selbst mit gutem
Willen - nicht leicht abschuettelt, an mangelnder Gewohnheit der
Vereine, zusammenzuarbeiten, an den von Vereinsfunktionaeren kaum
gesehen positiven Perspektiven einer Zusammenarbeit - bisher lebte man
ja nur in der eigenen "Welt " - und schliesslich an den objektiven
Schwierigkeiten behinderter Menschen im Umgang miteinander.

Heisst das nun, man solle die Zusammenanrbeit zwischen Behinderten
aufgeben?  Keineswegs!  Die Konsequenz muss anders lauten:  Wenn ich
als Einzelner denke, dass ein Problem viele Menschen mit Behinderungen
bedraengt - beispielsweise die Problematik der Arbeitssuche -, dann
muss ich selber sehen, wie ich das den Mitgliedern meiner Behinderten-
vereinigung klarmache, und mit welchen Personen ich Kontakt aufnehmen
will oder kann, um dieses Problem anzugehen.  Also nicht von den
Vereinen die Zusammenarbeit erwarten, sondern sie selbst praktizieren.

Herzlichen Dank fuer die Aufmerksamkeit beim Lesen dieses "Manifests"

und herzliche Gruesse aus Magdeburg sendet Euch            Arne Harder
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Institutional (dienstliche): Dr. Arne Harder, Institut fuer Medizinische
   Psychologie, Medizinische Fakultaet, Leipziger Strasse 44,
   D-39120 Magdeburg. Tel. 0049-391-6117122.
   E-Mail: harder_bEi_medizin.uni-magdeburg.de