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Re: Frage zu Braille



Hallo Wulf,

-----Urspruengliche Nachricht-----
Von: Dr.-Ing. Wulf Alex <wualex1_bEi_mvmhp64.ciw.uni-karlsruhe.de>
An: fblinu_bEi_mvmhp64.ciw.uni-karlsruhe.de
<fblinu_bEi_mvmhp64.ciw.uni-karlsruhe.de>
Datum: Dienstag, 18. Mai 1999 20:05
Betreff: Frage zu Braille


>Wir - alles Sehende - kamen eben in einer Diskussion auf Blindenschrift.
>Dabei tauchte die Frage auf, ob ein Blinder diese Schrift mit einem
>einzigen Finger Buchstabe fuer Buchstabe liest und dann im Kopf das
>Wort zusammensetzt, oder ob er mit mehreren Fingern gleichzeitig
>ein ganzes Wort erfasst. Ein Sehender liest mit etwas Uebung

da gibt es die "reine Lehre" der Blindenschriftlehrer: man moege mit der
linken Hand lesen - moeglichst mit mehr als nur dem Zeigefinger - und mit der
rechten "fuehren", also sozusagen die Spur halten, Satzzeichen und
Textstruktur "vorfuehlen" und schon, wenn die rechte Hand kurz vor dem
Zeilenende ist, soll die rechte die Zeile "zu ende" lesen und man soll auf
der naechsten Zeile mit der linken  vorfuehlen.

Ich z.B. bin eh kein geuebter Braille-Leser, lese nur mit links, bekomme mit
der rechten Hand wenig mit und habe daher auch
nicht viel davon, die rechte Hand am Lesevorgang zu beteiligen. Andere
machen es wieder anders - es scheint sehr individuell zu sein, wie jeder
liest.

Generell wird in der Blindenschrift als Literaturschrift eine Kurzschrift
verwendet, die Lautgruppen, Vor- und Nachsilben und ganze Worte zu ein- oder
zweibuchstabigen Kuerzeln zusammenfasst.  Dies erhoeht den Lesefluss ungemein,
und ich halte das System auch fuer gut durchdacht, auch wenn manche
"modernen" (?) Blindenpaedagogen meinen, man muesse die Kurzschrift
vereinfachen, damit auch minderbegabte - oder weniger fleissige? - Schueler
sie lernen koennen.

Fuer mich ist das Hauptproblem der Blindenschrift ihr beschraenkter
Zeichenvorrat: 6 x die Moeglichkeit Punkt oder kein Punkt ergibt eine
Leerform und 63 Zeichen. Das ist schon fuer ein Vollalphabet mit Gross- und
Kleinbuchstaben, Ziffern und Satz- und Sonderzeichen zu wenig: Man behilft
sich z.B. dadurch, dass man keine zahlen schreibt, sondern ein
Ankuendigungszeichen. Gleiches gilt in der 6-Punkte-Schrift fuer die
Grossbuchstaben: in der Literaturschrift wird generell klein geschrieben -
schade, dass die Rechtschreibreform fuer den Schwarzdruck da nicht mitgemacht
hat!!! Auch bleibt der Leser durch die Kurzschrift von "Modernismen" wie
dem -Innen-Konstrukten verschont.

Auch muessen aus diesen 6 Punkten alle Zeichen von Sonderschriften wie Noten,
Physik-, Mathematikschrift usw. gebildet werden. Man muss also schon wissen,
in welchem "Schriftsystem" man sich bewegt.

8-Punkt-Braille hilft da schon, Ziffern und Grossbuchstaben werden 1 zu 1 mit
der Schwarzschrift umgesetzt wie z.B. beim Computerbraille. Allerdings ist
dann auch Schluss mit einer vernuenftigen Ertastbarkeit. Mehr als 8 Punkte
wuerden wohl das Lesen schlechterdings unmoeglich machen.

dGruss Andreas