[Date Prev][Date Next][Thread Prev][Thread Next][Date Index][Thread Index]

Re: Unfall eines Blinden



Hallo,

die Diskussion zu diesem Thema scheint, aus verstaendlichen Gruenden, in
letzter Zeit immer emotionaler zu werden. Da ich jedoch diese Diskussion
und Sachaufklaerung in den angeschnittenen Punkten fuer sehr wichtig halte,
will ich einmal versuchen, auf einige situationsbedingte Unterschiede
hinzuweisen, die vielleicht auch manche der hier veroeffentlichten
Meinungsunterschiede als nicht mehr ganz so gegensaetzlich erscheinen
lassen:

1. Ausgangspunkt der Diskussion war ein Urteil im Zusammenhang mit einem
Unfall auf einem Schiff, bei dem nur eine Person (der Blinde selbst) zu
schaden kam und nachtraeglich offenbar versuchte, vom Schiffseigner
Schadensersatz zu erhalten.

2. Im Verlauf der Diskussion wurde manchmal versucht, das in dem Urteil
erwaehnte Argument der fehlenden Begleitung nun auch auf viele andere
Situationen des taeglichen Lebens zu uebertragen, z.B. auch auf den
Strassenverkehr, in dem der Langstock ja nicht nur Mobilitaetshilfsmittel,
sondern auch Verkehrsschutzzeichen ist. D.h., er soll in diesem Fall andere
Verkehrsteilnehmer auf den blinden Fussgaenger aufmerksam machen.
Diese Situation war auf dem Schiff aber ueberhaupt nicht gegeben, da hier
andere Personen ja gar nicht im Spiel waren.

Man sollte in der weiteren Diskussion, die ich nicht unterbinden will, m.
E. daher zwischen zwei Faellen unterscheiden:

a) Kommt "nur" der Blinde zu Schaden und macht er Ansprueche geltend. Diese
Ansprueche koennen sich richten gegen die eigene Kranken- oder
Unfallversicherung, aber auch gegen die Verantwortlichen der (um bei den
Beispielen der Diskussion zu bleiben) nicht ausreichend gesicherten
Baustellen oder Lkw mit ueberstehenden Stangen. 
Insbesondere bei den letzten Beispielen duerfte die Durchsetzung von
Schadensersatzanspruechen sehr schwierig sein. Denn zur
Baustellenabsicherung (auf Fusswegen) gibt es keine rechtsverbindlichen
Vorschriften, die den Belangen von Sehbehinderten Rechnung tragen. In
Berlin gibt es zwar "Leitlinien", jedoch haben sie eher empfehlenden
Charakter.
Was den Lkw angeht, duerfte die Frage eines Schadensersatzanspruchs doch
zunaechst einmal davon abhaengen, ob er vorschriftsmaessig geparkt und
gesichert wurde. 

b) Sind in den Unfall andere Personen mittelbar oder unmittelbar
verwickelt? Ich denke hierbei in erster Linie an Faelle, in denen durch
eine objektiv falsche Strassenueberquerung eines Blinden ein Auto sehr
stark bremst, den beiden unmittelbar Beteiligten moeglicherweise gar nichts
geschieht, aber andere Verkehrsteilnehmer in einen Unfall verwickelt
werden. Hier stellt sich doch weniger die Frage der Durchsetzung von
Schadensersatzanspruechen des Blinden, sondern in erster Linie die Frage,
ob er bei vorschriftsmaessiger Kennzeichnung die Folgen seines
"Verschuldens" tragen muss. In derartigen Faellen haben Gerichte
entschieden, dass es zumutbar sein kann, dass der Blinde bei schwierigen
Strassenueberquerungen um Hilfe bittet.
Oder was ist mit dem Fall, als der auf dem Ruecksitz des Pkw mitfahrende
Fuehrhund beim Bremsen aus dem Auto geschleudert wurde und einen Unfall
verursachte? Hier erkannte das Gericht ein Verschulden des Halters an, weil
der Hund nicht angeschnallt war.

Fazit: Wir sollten uns in der Diskussion nicht zu sehr auf diejenigen
Faelle konzentrieren, in denen der Blinde allein Schaden nimmt. Diese
Verantwortung bzw. den "Mut zum Risiko" traegt irgendwo und irgendwie doch
jeder auch selbst. Schliesslich kann man das "Schiffsurteil" doch auch
nicht so auslegen, als duerften "blinde Passagiere" nicht allein an Bord.
Sie muessen eben nur damit rechnen, dass sie nicht unbedingt Schadensersatz
einklagen koennen. Insofern besteht auch ein wesentlicher Unterschied zu
dem anderen "Behindertenurteil" von Koeln, da hier den Behinderten Auflagen
erteilt wurden, die unmittelbar ihr Verhalten beeintraechtigen. 

Fuer viel interessanter in der ganzen Diskussion halte ich hingegen die
versicherungsrechtlichen Fragen. Unfallversicherungen sind offenbar sehr
zurueckhaltend. Die "Vereinte Versicherungen AG" nimmt in ihre
Unfallversicherung z.B. Blinde ueberhaupt nicht erst auf und gewaehrt in
ihrer Lebensversicherung bei Unfalltod bei Blinden nicht den sonst
ueblichen Zuschlag. Hat jemand aber vielleicht auch schon einmal von einem
Fall gehoert, in dem die Krankenversicherungen Leistungen verweigerten.
Denn auch das ist "bei Eigenverschulden" grundsaetzlich moeglich..

Ruediger Leidner